Ausbreitungssimulationen von Radionukliden emittiert durch den Reaktorunfall in Fukushima, Japan
Stand der letzten Änderung: 29.04.2011
Nach dem Beitritt der Bundesrepublik zum Kernwaffenteststoppabkommen im Jahre 1996 wurde die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) mit dem Betrieb des nationalen Datenzentrums (NDC) beauftragt. In dieser Funktion wertet die BGR unter anderem in Kooperation mit dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) die Daten des einzigen weltweiten Netzes zur Messung von Radionukliden aus, um mögliche heimliche Nuklearwaffentests aufzuspüren. Dieses Netz aus Stationen zur Messungen von Radioisotopen ist zusammen mit seismischen, hydroakustischen und Infraschall-Stationen Teil des internationalen Überwachungssystems (IMS) der Kernwaffenteststopp-Organisation (CTBTO) in Wien. So kombiniert die BGR zum Auffinden des Orts von heimlichen Kernwaffentests Rückwärtsrechnungen zum Transport von radioaktiven Stoffen in der Atmosphäre mit Wellenformverfahren wie der Seismologie. Diese Expertise der BGR kommt jetzt auch der Einschätzung der Folgen des Nuklearunfalls in Japan zugute: Die Transportrechnung in einer Vorwärtssimulation wird genutzt, um die globale Ausbreitung der radioaktiven Substanzen und ihre Ankunft an den IMS-Stationen vorherzusagen. Weltweit sind 63 dieser Stationen in Betrieb, die deutsche Station wird dabei vom BfS auf dem Berg Schauinsland bei Freiburg betrieben. Insgesamt hat die BGR aus Messwerten und durch Berechnungen ermittelt, dass die durch die Reaktorunfälle in Fukushima freigesetzte radioaktive Wolke Europa extrem verdünnt erreicht hat. Die Messungen an den einzelnen Stationen und Rechnungen zeigen, dass die Wolke bereits am 16. März Kalifornien schon sehr verdünnt erreicht hat und inzwischen auch über Island und Skandinavien den Weg nach Europa gefunden hat. Am Sonntag, den 20. März hat die Station auf Island erste, allerdings extrem geringe Konzentrationen nachgewiesen. Inzwischen wurden in Europa Radionuklide aus Fukushima auch an den Stationen Stockholm, Spitzbergen sowie auf den Azoren und am Schauinsland detektiert.
Simulation der Ausbreitung von Partikeln in der Atmosphäre:
Die folgenden Animationen zeigen die atmosphärische Ausbreitungsmodellierung vom Standort des Kernkraftwerks Fukushima bis zum 28. März, 12 UTC für eine konstante Freisetzung von 1/Stunde an Cäsium-137 über einen Zeitraum von 240 Stunden vom 12.-22. März 2011, je 3 UTC. Eine konstante Emission wurde angenommen, da über den zeitlichen Verlauf der Freisetzung und die Quellstärke noch keine genauen Erkenntnisse vorliegen. Daher sind auch die Angaben zur den bestimmten relativen Konzentrationen nur für qualitative Aussagen zu verwenden. Sie vermitteln jedoch einen Eindruck der Ausbreitung von Partikeln in der Troposphäre unter den derzeit vorherrschenden meteorologischen Bedingungen auf der nördlichen Hemisphäre in primär östliche Richtung. Ferner geben sie Anhaltspunkte hinsichtlich der Ankunftszeiten von Radioisotopen an den IMS-Stationen. Die Ergebnisse wurden mit dem Modell HYSPLIT, das von NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) frei zur Verfügung gestellt wird, erzielt. Die meteorologischen Daten kommen von NCEP (National Center for Environmental Prediction) mit einer horizontalen Auflösung von 0.5°. Zusätzlich zu den Analysedaten, die bis einschließlich 24. März Anwendung gefunden haben, wurden auch Vorhersagedaten vom GFS (Global Forecast System) bis zum 28. März in die Rechnung mit einbezogen. Die Ausbreitungsmodellierung erfolgte auf 45 Höhenstufen in der Troposphäre und ist hier gemittelt dargestellt für die Höhen zwischen 0 und 0,5 km sowie 2,0 und 5,0 km. Dies entspricht einem langsameren Transport nahe der Erdoberfläche bzw. einem schnelleren - durch Bodenreibung unbeeinflussten - in der mittleren Troposphäre.Es sei an dieser Stelle noch angemerkt, dass der Vertikaltransport im Modell nicht zwingend korrekt wiedergegeben ist. Es ist zum einen bisher nicht klar, in welcher Höhe Partikel emittiert wurden. Zum anderen sind Faktoren an den Messstationen wie die lokale Temperaturschichtung und Topographie entscheidend dafür, ob vertikale Vermischungen zwischen höheren Schichten, über die der Ferntransport stattfindet, und der bodennahen Luft möglich ist.
0 - 0,5 km:
Quelle: BGR
2,0 - 5,0 km:
Quelle: BGR
Detektierbarkeit an Stationen des IMS:
Die nachfolgende Abbildung zeigt die simulierten relativen Konzentrationen und deren Ankunftszeiten an den Stationen des IMS für Radioisotope vom 12. bis zum 28. März. Der Abgleich mit den Messdaten ergibt, dass die Ankunftszeiten in den meisten Fällen gut getroffen werden. Die Abweichungen lassen sich möglicherweise mit einer Variation der Freisetzungshöhe erklären. Es ist wohl davon auszugehen, dass bei den Explosionen Partikel und Spaltgase in höhere Schichten geschleudert wurden. Seit Sonntag, den 20. März, misst die Station auf Island kleinste Spuren Iod-131. Seit dem 24./25. März misst auch die vom Bundesamt für Strahlenschutz betriebene Radionuklidstation auf dem Schauinsland bei Freiburg im Breisgau geringe Aktivitätskonzentrationen Iod und Tellur sowie des Edelgasisotops Xe-133. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich die Konzentrationen in Europa in den nächsten Tagen noch westentlich verändern werden.
Quelle: BGR
Folgende Stationen haben bisher tatsächlich Radionuklide nachweisen können. Die außerhalb Japans mit den extrem empfindlichen Anlagen des IMS gemessenen Aktivitätskonzentrationen sind sehr klein und liegen teilweise im Bereich der Detektionsschwelle. Die simulierte Ankunftszeit kann meist nicht genau evaluiert werden, da die IMS-Radionuklidstationen Partikel in einem Drei-Tagesrythmus messen: Die Anlagen saugen 24 Stunden lang Luft durch einen Filter, danach klingt die Probe 24 Stunden ab, um den Hintergrund durch kurzlebige Isotope zu verringern und weitere 24 Stunden werden in einem Gamma-Spektrometer die Energie der Zerfälle bestimmt und gezählt. Die Ergebnisse liegen somit immer erst zwei bis drei Tage nach der Messung vor. Innerhalb dieser Genauigkeit wurden jedoch die modellierten Ankunftszeiten meist bestätigt.Berücksichtigt sind hier Detektionen bis einschließlich 25.3.2011.
Station | Position | Erste Detektion [Tag/Monat (UTC)] |
---|---|---|
RUP60 | 53.1°N / 158.8°E | 14/03 |
JPP38 | 36.3°N / 139.1°E | 15/03 |
USP70 | 38.7°N / 121.4°W | 16/03 |
USP71 | 55.2°N / 160.5°W | 18/03 |
USP74 | 37.2°N / 99.8°W | 18/03 |
CAP14 | 49.3°N / 132.2°W | 18/03 |
CAP17 | 47.6°N / 52.7°W | 19/03 |
USP75 | 38.0°N / 78.4°W | 19/03 |
USP79 | 21.5°N / 158°W | 19/03 |
USP72 | 28.3°N / 80.6°W | 20/03 |
USP76 | 64.7°N / 147.1°W | 20/03 |
ISP34 | 64.1°N / 21.9°W | 20/03 |
USP77 | 19.3°N / 166.6°E | 20/03 |
USP80 | 13.6°N / 145.0°E | 21/03 |
USP78 | 28.2°N / 177.4°W | 21/03 |
CAP15 | 74.7°N / 94.9°W | 21/03 |
RUP58 | 44.2°N / 132.0°E | 22/03 |
SEP63 | 59.2°N / 17.6°E | 22/03 |
CAP16 | 62.5°N / 114.5°W | 22/03 |
PHP52 | 14.6°N / 121.4°E | 22/03 |
RUP61 | 56.7°N / 37.3°E | 22/03 |
RUP54 | 58.6 °N / 49.4°E | 22/03 |
PTP53 | 37.8°N / 25.8°W | 23/03 |
FRP28 | 16.3°N / 61.5°W | 23/03 |
NOP49 | 78.2°N / 15.4°E | 23/03 |
DEP33 | 47.9°N / 7.9°E | 24/03 |
PAP50 | 8.9°N / 79.6°W | 23/03 |
JPP37 | 26.5°N / 127.9°E | 24/03 |
KWP40 | 29.3°N / 47.9°E | 25/03 |
MRP43 | 18.1°N / 15.9°W | 25/03 |
KIP39 | 2.0°N / 177.4°W | 26/03 |
RUP59 | 53.9°N / 84.8°E | 26/03 |
MNP45 | 45.5°N / 107.0°E | 26/03 |
FRP31 | 5.2°N / 52.7°W | 29/03 |
MYP42 | 4.5°N / 101.4°E | 30/03 |
PGP51 | 3.0°S / 150.0°E | 30/03 |
CMP13 | 3.5°N / 10.1 °E | 02/04 |
FJP26 | 18.0°S / 177.5°E | 05/04 |
Seit Ende März weisen alle in Betrieb befindlichen Radionuklidstationen des IMS auf der Nordhalbkugel Spuren von Radionukliden aus Fukushima nach. Dabei lag an der deutschen Radionuklidstation RN33 am Schauinsland das Maximum der Aktivitätskonzentration am 06.April für Iod-131 etwas über ein Millibecquerel pro Kubikmeter Luft (mBq/m3) und für Cäsium-137 bei unter 0,1 mBq/m3. Der davon ausgehende Beitrag zur Dosisleistung ist jedoch verschwindend gering im Vergleich zur natürlichen Umgebungsradioaktivität. Detaillierte Angaben zu Ergebnissen der Spurenanalyse von Luftproben hat das Bundesamt für Strahlenschutz unter www.bfs.de veröffentlicht.
Ferner scheint es seit Ende März am KKW Fukushima nicht mehr zu größeren Freisetzungen von Radioisotopen in die Atmosphäre gekommen zu sein, so dass die Konzentrationen auf der Nordhalbkugel eine rückläufige Tendenz zeigen. Da sich die Lage der Ausbreitung nicht qualitativ verändert hat und die Frage der Ankunftszeiten an den IMS Stationen beantwortet ist, wurden daher von der BGR keine weitergehenden Simulationen erstellt.
Ein aus wissenschaftlicher Sicht interessanter Aspekt ist der Austausch über den Äquator hinweg zwischen Nord- und Südhalbkugel; aus den Erfahrungen früherer oberirdischer Kernwaffentests aus den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts wird eine Dauer von etwa vier Wochen erwartet. Während also die Durchmischung über der Nordhalbkugel weitgehend erfolgt ist, sind seit Anfang April auch an einzelnen Radionuklidstationen der Südhalbkugel erste feine Spuren gemessen worden. Detektionen werden von den Fidji Inseln, aus Papua Neu Guinea, Australien (Darwin) und Brasilien (Rio de Janeiro) gemeldet. Hierbei bleibt zu untersuchen, welchen Weg die radioaktiven Substanzen genommen haben, um die als aktive Barriere wirkende Innertropische Konvergenzzone in der Äquatorialregion zu überwinden.
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